Maria Herz – eine Initiative für eine vergessene Kölner Komponistin (Arbeitstitel)

Ein möglichst lebendiges Denkmal setzen. Wie geht das?

Musik ist flüchtig. Gespielt, gehört, vorbei. Auf Papier ist Musik speicherbar aber nur wenn sie aus dem Dornröschenschlaf geweckt und neu interpretiert wird, ist sie wieder lebendig. Nur auf konventionellem Weg geht es nicht; es reicht nicht, die Partituren zu

Maria Herz (Privatarchiv Albert Herz)

sichten und ein „best of“ auf ein Konzertprogramm zu set- zen. Es bliebe wesentliches ungesagt.

Wir wollen Maria Herz als Künstlerin, als Frau in Musik- und allgemein geschichtlichen Zusammenhängen betrach- ten. Das Format performusik eignet sich dafür besonders gut, weil es die Möglichkeit eröffnet, Dinge aus verschiede- nen Blickwinkeln heraus zu betrachten und mittels perfor- mativer Elemente den teilweise etwas hart eingestampften Boden des Klassikbetriebs für diese Frau ein wenig umzu- pflügen, damit ihre Saat verdient endlich aufgehen kann.

Maria Herz ist – vielleicht auch stellvertretend für viele an- dere komplett Vergessenen – eine der Künstlerinnen, an die erinnert werden KANN weil es Material gibt, weil es Nach- fahren gibt, weil es Musikwissenschaftler*innen und Künst- ler*innen gibt, die sich für sie einsetzen (wollen).

Vieles an der Vita von Maria Herz ist vielleicht nicht auf den ersten Blick herausragend, auf den zweiten und dritten aber schon. Am 19. August 1878 in die wohlhabende Kölner Un- ternehmerfamilie Bing hineingeboren war sie mit ihren ebenfalls musizierenden Geschwistern keine Ausnahme, gutbürgerliche Kammermusik im Familienkreis keine Sel- tenheit. Sie hat sich durchgeboxt, Musik studiert, kompo-

niert, ihre Werke mit dem Namen ihres Mannes Albert Maria Herz signiert und teilweise sogar veröffentlicht. Sie pflegte regen Kontakt zu den Musik-

größen ihrer Zeit und ihre Werken wurden unter anderem in den 20er Jahren noch von dem nationalsozialistischen Kulturpolitiker und Dirigenten Peter Raabe aufgeführt. Sie wurden rezensiert von Theodor W. Adorno und öffentlich in der Musikwelt wahrgenom- men.

Eine Frau mittendrin, mit einer seltenen und bewundernswerten Ausdauer: Frisch ver- witwet als Mutter von vier halbwüchsigen Kindern hätte sie mehr als genug Gründe ge- habt, ihr Engagement für die Musik in ihrer Geburtsstadt Köln gemeinsam mit ihrem Mann zu begraben. Die Eheleute Herz waren 1901 wegen Antisemitismus eigentlich nach England emigriert. 1914 auf der Hochzeit des Bruders von Albert Herz in Köln zu Gast musste die mittlerweile sechsköpfige Familie nach Ausbruch des ersten Weltkriegs un-

freiwillig in Deutschland bleiben. Albert Herz wurde in die Armee eingezogen und verlor 1920 im Zuge der Grippeepidemie sein Leben.

Die Machtergreifung der Nazis zwang Maria Herz 1933 noch einmal, Köln, Deutschland und gleichzeitig ein mittlerweile trotz aller Widerstände reiches soziales und musikalisch erfülltes Leben zu verlassen. Sie starb 1950 in New York. Komponiert hat sie nicht mehr.

Bestandteile des Projektes

Den Musikjournalisten Georg Beck bewegt das Thema Maria Herz seit mehreren Jahren, Zeugnis davon sind seine Sendun- gen über Maria Herz im Deutschlandfunk und im Schweizer Radio. Der Wunsch, nun einen Teil ihres Werks erstmals auf CD veröffentlicht zu wissen, die Komponistin nachhaltig in Köln verankert zu sehen und der Traum, sich dabei gleichzeitig nicht nur ihrem Werk sondern vielmehr auch ihrer Musik- und damit Lebensenergie anzunähern, soll umgesetzt werden.

Dass dabei die Auseinandersetzung mit der Geschichte über die Musikgeschichte hinaus eine Rolle spielen muss, ist nicht nur wegen ihrer Rolle als komponierender Frau sondern auch wegen ihrer Rolle als jüdischer komponierender Frau ein Muss. Daher wird das Projekt mit einer Recherche-Phase beginnen, die sowohl Interviews vor allem mit Albert Herz, dem Enkel Maria Herz’, als auch Archivarbeit unter anderem in der Zen- tralbibliothek Zürich, die den künstlerischen Nachlass von Ma- ria Herz verwaltet, einschließt. In dieser Recherche-Phase wer- den auch Bearbeitungen der Werke von Maria Herz, die zum Teil nur als Handschriften vorliegen, vorgenommen, um sie spielbar für die kammermusikalische Besetzung zu machen.

Maria Herz (Privatarchiv Albert Herz)

Die CD Produktion in Kooperation mit dem Deutschlandfunk,
dem E-MEX Ensemble und dem Asasello-Quartett wird im April 2022 mit dem Beginn der Aufnahmen das Engagement für Maria Herz konkretisieren.

Wichtigster Bestandteil ist neben der musikalischen Aufbereitung der Werke Maria Herz’ die interdisziplinäre künstlerische Auseinandersetzung, die auf den Ergebnissen der Re- cherchearbeit beruht. Allein durch ihre Musik lässt sich ihr Leben, das zum einen von per- sönlichem Schicksal geprägt ist, aber auch für viele während des Dritten Reichs verfolgten und zum Schweigen gebrachten jüdische Künstler*innen steht, weder transportieren noch vermitteln. Aus den Disziplinen Musik, Schauspiel, Regie, Film und Kunsthandwerk kommend nähern sich die Künstler*innen der Person Maria Herz an und entwicklen ge- meinsam einen performativen Soundwalk, der zu den Stätten Maria Herz’ in Köln führt. Der experimentelle Ansatz von performusik, der vom Kunstkollektiv Honolulu Star Pro- duction entwickelt wurde, vereint Musik mit Text, Collage, Worte über Musik, Laute als Musik, wobei in der Grenzüberschreitung jede Disziplin auf höchstem Niveau arbeitet. Hineingestellt in den öffentlichen Raum an den jeweiligen Wirkungsstätten, bringt die

Maria Herz als Kind mit ihren Geschwistern (Privatarchiv Albert Herz)

Neumarkt verlegt werden.

performusik nicht nur die Musik, sondern auch die Person Maria Herz zurück nach Köln. Der öf- fentliche Raum wird zur Bühne. Der performative Soundwalk soll im Juni 2023 stattfinden und als professionell produzierter Podcast abrufbar bleiben und nachhaltig an Maria Herz erinnern und be- gehbar sein.

Im Rahmen des Soundwalkes soll ein Stolperstein idealerweise am Geburtshaus von Maria Herz,

dem heutigen Gesundheitsamt am

In zeitlichen Zusammenhang ebenfalls im Juni 2023 wird im Kammermusiksaal des Deutschlandfunk dann die Auseinandersetzung und Annäherung aus unterschiedlichsten Richtungen an das Leben und Werk der Komponistin Maria Herz mit einem Festakt in Anwesenheit von Albert Herz, dem Enkel von Maria Herz, einen feierlichen Abschluss finden.

Werke von Maria Herz

Die Werke von Maria Herz bleiben – bis auf Anpassungen an die Besetzung von Asasello Quartett und E-MEX Ensemble – in ihrer Ernsthaftigkeit, ihrer Klangsprache und in der der Komponistin eigenen Energie erhalten.

Die CD wird folgende Werke umfassen:
– Fünf kleine Stücke für Streichquartett op. 5
– Streichquartett h-Moll op. 6
– Rundfunkmusik op. 9 (Bearbeitung Christoph Maria Wagner) – Lieder (Bearbeitung Christoph Maria Wagner)

Für die Performusik stehen die Werke im Vordergrund, die Zeugnis ablegen von ihrer po- litischen Einstellung, wie die Lieder nach Texten von Ernst Toller, die sie schreibt als er wegen Hochverrates verurteilt ab 1919 im Gefängnis saß, und ihren Willen zeigen, sich als Frau in der Männerdomäne der Komponisten zu behaupten. Was macht es mit Maria Herz als Frau und als Komponistin, wenn sie zur Veröffentlichung ihrer Werke den Vornamen ihres verstorbenen Ehemanns wählt, warum nimmt sie sich genau die Gattungen und Formen vor, die eine Männerdomäne sind, und schreibt 1922 eine Klaviersonate von der sie sagt: „Das klingt doch fast so als hätte es ein Mann geschrieben.“ Durch den ganzheit- lichen Ansatz und die Verbindung verschiedener Künste soll eine Kontextualität mit der Biographie hergestellt werden, die über die Werke hinausweist. Weitere Werke von Maria Herz, die im Laufe des Performusik-Prozesses angegangen werden, sind voraussichtlich:

– drei Lieder für Bariton und Orchester (Klavier)

– Klaviersonate f-Moll (1922)
– Chaconne, Bearbeitung für Streichquartett der Chaconne für Violine solo von J. S. Bach

Kooperationspartner

Das breite Spektrum der Kooperationen ist herausfordernd, das Zusammenspiel von Mu- sik, Musikwissenschaft, Theater, Geschichte und persönlichem Beitrag ist fragil, das Bün- deln von scheinbar gegensätzlichen Positionen zu einem Großen Ganzen ein Kraftakt. Wer will sich das freiwillig antun? Es stehen Frauen hinter diesem Projekt, die in dieser Initia- tive um Maria Herz ein Ganzes und nicht einzelne getrennte Positionen sehen. Es stehen Frauen hinter dieser Initiative, denen dieser Kraftakt mehr bedeutet als berufliche Exzel- lenz.

Neben den beteiligten Musiker*innen und Künstler*innen von
– Honolulu Star Productions (Performusik, künstlerische und organisatorische Leitung)
– des Asasello Quartetts (CD-Aufnahme, Festakt, Performusik) und
– des E-MEX Ensembles (CD-Aufnahme, Festakt)
– Moira Himmelsbach (Soundwalk)
sind Kooperationen mit folgenden Personen und Institutionen angestrebt, bzw. bereits fest verabredet:
– Georg Beck (Ideengeber der Projektes, Recherche)
– Deutschlandfunk (CD-Produktion, Festakt)
– Hochschule für Musik und Tanz Köln (Performusik, Festakt), fünf bis zehn Studierende sind eingeladen, bei dem Projekt mitzumachen und sich auf Performusik einzulassen
– Stadt Köln (Stolperstein, Festakt, Performusik)
– Albert Herz (Recherche, Festakt)
– Zentralbibliothek Zürich, Dr. Heinrich Aerni (Recherche)
– Alpenverein (Stolperstein)
– Lern- und Gedenkort Jawne (Stolperstein, Recherche)
– Kulturreiseunternehmen KultourNatour (Logistik Soundwalk)
– Musterzimmer (Performusik)
– Label Genuin (CD-Produktion)
– Gürzenich Köln (Performusik, Festakt)

Projektentwicklung und Organisation

Organisiert und künstlerisch geleitet wird das Projekt von der Geigerin Barbara Streil und den beiden Theatermacherinnen Laura Remmler und Aischa-Lina Löbbert, die sich zu dem Kunstkollektiv Honolulu Star Productions zusammengetan haben. Gemeinsam mit anderen Künstlerinnen soll den vielen aussermusikalischen Fragen wie z.B. dem Stellen- wert von komponierenden (ob jüdisch oder nicht) Frauen damals wie heute intensiv und leidenschaftlich nachgespürt werden und die CD, ein Soundwalk durch Köln, performusik als interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Musik, Theater/Performance und Recher- che sowie eine längst fällige Stolpersteinlegung soll die Komponistin im Kulturleben der Stadt Köln nachhaltig verankern.

Ziel des Projektes

Ziel ist, eine offen gebliebene Geschichte nicht weiter ausbluten zu lassen, sondern eine ganzheitliche und umfassende Arbeit zu leisten, die mittels Kooperationen und unter Be- rücksichtigung verschiedenster Partner und Parameter eine Biographie und künstlerische Energie hör- und sichtbar macht, die Aufmerksamkeit verdient. Die künstlerische Ergeb- nisse sollen nach der Präsentation nicht verpuffen, sondern als CD, als abrufbarer Sound- walk/Podcast und als Stolperstein dauerhaft erlebbar bleiben.

Nebenwirkungen sind mit der Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln eine Heranführung aufstrebender Musiker*innen an das performative Arbeiten an- hand konkreter Partituren. Dies gibt den Spieler*innen und Zuhörer*innen die Möglich- keit, das jeweilige Werk über die Musik hinausweisend noch aus ganz anderer Perspektive zu erleben. Diese Fähigkeiten werden in dem sich wandelnden Konzertbetrieb immer wichtiger.

Zudem soll das Projekt einen Beitrag dazu liefern, die Achtung und Wertschätzung der Komponistin Maria Herz, die in ihrer Zeit den mutigen Schritt gegangen ist als Komponis- tin alleine eine Familie zu unterhalten, zum Ausdruck zu bringen. Dieser Schritt kann noch heute als Vorbild dienen, da Komposition immer noch eine Männerdomäne ist.